Eine Reise ins Land der Desinformationen

 

Aus Mainz ging es für die Journalismus-Studentin Carolin Wollschied in die USA für ein Fellowship über Desinformation in den Medien. Neben Besuchen bei renommierten amerikanischen Medien standen auch Workshops in Journalism Schools auf dem Programm. Wie ist der Stand der Debatte – und was kann der Journalismus im Kampf gegen Desinformation tun?

 

Mich erreicht die Nachricht, als ich am Check-in am Flughafen New York-Newark stehe: Ein manipuliertes Video von Nancy Pelosi verbreitet sich in sozialen Medien. Die demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses wirkt in dem Video betrunken und nicht zurechnungsfähig. Geteilt wurde es unter anderem von engen Beratern des amerikanischen Präsidenten Donald Trumps. Auf Facebook wurde es über zweieinhalb Millionen Mal angesehen. Das Originalvideo wurde verlangsamt, sodass Pelosi betrunken wirkt – und somit in der Öffentlichkeit schlecht dasteht. In dem Moment, in dem ich diese Nachricht las, ist mir erneut bewusst geworden, wie wichtig meine Reise in die USA war, auf deren Heimweg ich mich gerade befand.

Doch von vorne: Ich bin Carolin Wollschied und studiere im vierten Mastersemester Journalismus an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Rahmen des Studiums habe ich im Mai als eine von 16 deutschen und amerikanischen Journalismus-Studenten an dem Stipendienprogramm „Journalism in the Era of Disinformation“ teilgenommen, finanziert durch das Bundeswirtschaftsministerium. Das Thema: Desinformation in den Medien. Innerhalb einer Woche haben wir mit Vertretern großer, kleiner, regionaler und überregionaler amerikanischer Medien in Washington D.C., Annapolis und New York darüber diskutiert. Ein Ziel war es, Strategien zu entwickeln, um das Vertrauen in seriöse Medien zu erhöhen und Desinformationen entgegenzutreten. Dafür gab es Workshops an der University of Maryland und der City University of New York.

Carolin Wollschied und die 15 anderen Stipendiaten mit Professorin Sarah Oates am Philip Merrill College of Journalism der U of Maryland (Foto: Jorge Bagaipo).
Carolin Wollschied (zweite von rechts) und die 15 anderen Stipendiaten mit Professorin Sarah Oates am Philip Merrill College of Journalism der U of Maryland (Foto: Jorge Bagaipo).

 

 

Zu Beginn des Fellowships war es wichtig zu klären, was überhaupt Desinformation ist, wo der Unterschied zu Falschinformation liegt und was das Buzzword „Fake News“ damit zu tun hat. Falschinformationen sind Informationen, die faktisch falsch sind und geteilt werden, unabhängig davon, ob ein bestimmtes Interesse dahintersteht. Desinformationen sind dagegen absichtlich irreführende, falsche oder manipulierte Inhalte. Das britische Parlament hat in einem Bericht „Fake News“ so definiert: „das absichtliche Erstellen und Teilen von falschen oder manipulierten Inhalten, die täuschen oder irreführen sollen, entweder um Schaden zu verursachen oder einen Gewinn dadurch zu erzielen.“ Demnach sind auch Fake News Desinformationen.

 

Haben wir ein „Bad News Problem“?

 

Schon bevor ich überhaupt in die Vereinigten Staaten aufbrach, war mir bewusst, dass das Thema in den USA anders wahrgenommen und behandelt wird. Durch die ständigen Fake News-Vorwürfe des Präsidenten gegen Medien, die ihm nicht gefallen, hat die Problematik eine andere Relevanz als in Deutschland. Sie spielt aber auch deshalb eine größere Rolle, weil durch das Land ein politischer Graben zwischen Republikanern und Demokraten läuft, die sich gegenseitig attackieren– teilweise auch mit Desinformationen und manipulierten Inhalten.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Fellowships war, dass man den Ausdruck „Fake News“ am besten gar nicht mehr verwenden sollte. Sind die Informationen absichtlich falsch oder manipuliert? Dann sage „Desinformation“. Fake News ist zu einem politisch aufgeladenen Ausdruck geworden. So nutzt Trump den Ausdruck für alles, was ihm an medialer Berichterstattung nicht passt. David Mikkelson, Gründer der Faktencheck-Seite Snopes.com, sagte dazu: „Wir sollten uns eine andere Begrifflichkeit suchen.“ Mikkelson geht so weit zu sagen, dass wir kein „Fake News Problem“, sondern ein „Bad News Problem“ haben. Dazu zählten nicht nur manipulierte Inhalte, sondern alle Formen von Desinformation: irreführende, betrügerische, erfundene Inhalte, Satire (ja, auch Satire ist meist faktisch falsch) und Inhalte im falschen Kontext oder mit falschen Verbindungen.

Pressefreiheit ist auch für die amerikanischen Studenten ein Grundstein für die Demokratie. Diese Tafel steht im Newseum in Washington D.C.
Pressefreiheit ist auch für die amerikanischen Studenten ein Grundstein für die Demokratie. Diese Tafel steht im Newseum in Washington D.C.

 

Auch in Europa und Deutschland ist – ohne einen Präsidenten, der einen Großteil der Medien diskreditiert – die Angst vor Desinformation groß. Vor den Europawahlen hat eine repräsentative Studie über Fake News[1] von PwC ergeben, dass mehr als zwei Drittel der Deutschen darin eine Gefahr für die Europawahl sehen. Jeder Vierte hält es für wahrscheinlich, Fake News nicht zu erkennen und sich bei der Wahlentscheidung davon beeinflussen zu lassen.

Diese Befürchtungen der Deutschen sind berechtigt. Durch das Internet, Social Media und eine immer schneller werdende Medienwelt hat es Desinformation leichter denn je. Jeder von uns kann ohne große Probleme Falschmeldungen in die Welt setzen und über Social Media verbreiten. Selbst Videos sind davor nicht mehr sicher. Sogenannte Deep Fakes können manipulierte Videos realistisch darstellen. Da kann es schon mal passieren, dass Barack Obama in einem Video von Buzzfeed sagt: „President Trump is a total and complete dipshit.“ KI-Technologien machen es möglich.

 

Jugendliche in Mazedonien konnten den US-Wahlkampf mit falschen Informationen beeinflussen

 

Mit unserer Mediennutzung verstärken wir dieses Problem noch weiter: Gerade online werden oftmals nur noch Schlagzeilen gelesen, um möglichst schnell weiter zu scrollen. Einen zweiten – genauen – Blick auf ein Video? Gibt es wahrscheinlich eher nicht; vor allem, wenn der Inhalt zusätzlich die eigene politische Meinung stützt. So hat es womöglich auch das manipulierte Video von Nancy Pelosi zu schneller Berühmtheit geschafft.

Wie einfach und sogar lukrativ es ist, Desinformation in den Medien zu streuen, haben bereits 2016 Jugendliche aus Mazedonien vorgemacht. Im Vorfeld der US-Wahlen haben sie Webseiten geschaltet, die falsche Informationen über die USA verbreiteten – und damit Tausende von Dollar erzielt. Die falschen Nachrichten waren pro Trump, denn dafür gab es mehr Klicks. Und dafür gab es durch die Werbung auf den Webseiten Geld. Ein Interesse an Politik oder Journalismus hatten die Jugendlichen nicht. Ihnen ging es lediglich darum, möglichst schnell viel Geld zu verdienen.

Für den Journalismus, die Gesellschaft und auch die Demokratie bergen solche Entwicklungen große Gefahren. Eine Studie des Reuters Institute of Journalism hat gezeigt: Viele, die Nachrichten über soziale Medien oder News-Aggregate wie Google News oder Flipboard nutzen, verbinden die Nachricht nicht mit der Quelle, sondern mit Facebook oder eben dem News-Aggregat. Statt „Das habe ich auf FAZ.NET gelesen“, heißt es nur noch „Das habe ich bei Facebook gelesen“.

Allerdings ist vielen Menschen auch bewusst, dass sie im Internet vorsichtig sein müssen. Das Vertrauen in Nachrichten, die über soziale Medien im Internet verbreitet werden, ist  gering, während das Vertrauen in klassische Medien wie in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Tageszeitungen deutlich höher ist, wie die Langzeitstudie Medienvertrauen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in ihrer Umfragewelle aus 2018 zeigt. Doch gleichzeitig verlagert sich die Medien- und Nachrichtennutzung immer mehr ins Internet, und die etablierten Nachrichtenmedien müssen versuchen, sich auch dort als glaubwürdige Marken zu behaupten. Besonders junge Menschen nutzen vor allem das Internet als Nachrichtenquelle.

 

Was kann man gegen die große Menge an Desinformation tun?

 

Im Gespräch während unseres Stipendiums hat der Politikreporter der Washington Post Aaron Blake dazu geraten, als Journalisten und Medien transparent zu arbeiten – und das besonders im Umgang mit Fehlern. Ein wichtiger Schritt kann aber auch sein, Recherchen offenzulegen und im Internet Quellen zu verlinken.

 Aaron Blake von der Washington Post im Gespräch mit den Stipendiaten

Aaron Blake von der Washington Post im Gespräch mit den Stipendiaten

 

Aaron Blake sprach auch davon, „Redaktionen kulturell diverser aufzustellen“. Ein Großteil der amerikanischen Journalisten ist weiß. Die kulturelle Diversität der USA wird in den meisten Newsrooms des Landes kaum abgebildet. Die Forderung gibt es auch in Deutschland. Dpa-Chefredakteur Sven Gösmann sprach bereits 2017 davon, dass es in den Newsrooms „ein bisschen mehr Marzahn und etwas weniger Berlin Mitte“ geben solle. Dahinter steht das Ziel, nicht nur mit journalistischen Inhalten, sondern auch in der Produktion die gesamte Gesellschaft abzubilden. In der Debatte um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Medien könnte das ein wichtiger Schritt sein.

Der einfachste und vielleicht effizienteste Weg, falsche Informationen im Internet aufzudecken, sind Faktenchecker. Der ARD-Faktenfinder oder Faktenchecks von Correctiv zeigen, wie es geht. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, sollten aber mehr Medien solche Checks durchführen oder Redaktionen dafür einsetzen. Die Ergebnisse könnten zudem statt nur online auch in den klassischen Medien veröffentlicht werden.

Ein wichtiger Punkt im Kampf gegen Desinformation ist auch der Umgang mit sozialen Medien. Für viele sind sie heute die einzige Nachrichtenquelle. Doch Facebook und Instagram löschen keine manipulierten Videos, auch auf Twitter gibt es immer wieder Beschwerden über die Sperr- und Löschpolitik des Unternehmens.

Das verlangsamte Video von Nancy Pelosi war wochenlang auf Facebook geblieben. Mittlerweile ist die Facebook-Seite mit dem Video nicht mehr auffindbar. Doch das dürfte nicht an der Reaktion von Facebook liegen. Das Unternehmen sagte der Washington Post, man wolle die Darstellung des Videos in den Newsfeeds von Nutzern „stark reduzieren“. Zusätzlich gebe es Pop-ups, die die Ergebnisse von zwei Factcheck-Seiten zeigen und die Nutzer davor warnen, das Video zu teilen. Doch die Nutzer konnten das Video dennoch weiter teilen, liken und kommentieren. „Es gibt keine Richtlinie, die besagt, dass die Informationen, die auf Facebook veröffentlicht werden, wahr sein müssen“, sagte der Facebook-Sprecher.

Spätestens nach diesen Ereignissen war für mich klar: Wer Desinformationen in den Medien und im Internet den Kampf ansagen will, kann viel tun – als Mediennutzer, als Journalist, als Bürger. Aber ohne Zusammenarbeit mit den großen Playern im Netz wie Facebook oder Google wird das Problem auf kurz oder lang nicht eingedämmt werden.

[1] PwC hat in der Studie explizit nach Fake News gefragt.