Im Online-Dossier „Jung. Macht. Politik.“ können sich die Nutzer*innen „quasi durch die (potenzielle) Zukunft unserer Politiklandschaft scrollen“, sagt Frederik von Castell, der für hr-iNFO als Datenjournalist arbeitet und am Journalistischen Seminar der Uni Mainz neben dem Datenjournalismus auch die Multimedia-Abschlussprojekte betreut. Mehr zum Hintergrund der Kooperation verrät er im Interview.

Von Christian Arndt (HR-Presse)

Den Parteien fehlt der Nachwuchs, zugleich wirkt die "Jugend von heute" alles andere als unpolitisch. Welche Politik-Definition kam beim hr-iNFO-Projekt "Jung. Macht. Politik." zum Tragen?

Wichtig war uns von Anfang an, den politischen Nachwuchs eben nicht einzugrenzen auf Menschen, die jung sind und in Parteien Karriere machen. Sondern die Vielfältigkeit politischen Engagements sichtbar zu machen. Black Lives Matter und Fridays for Future sind nur zwei Beispiele dafür, wie viel politisch denkende und handelnde Aktivist*innen heute erreichen – aber auch dafür, wieviel sie investieren. Wir haben mit etlichen Protagonisten gesprochen, die sich abseits von Parteikarrieren einbringen – ob als Nachtbürgermeister, als Organisator*innen von Demonstrationen, als Initiatoren von Streitgesprächen und vieles mehr. Das alles ist politisches Handeln. Wir zeigen aber auch die neuen Gesichter, die in Hessen und bundesweit frischen Wind in die Parteien bringen.

Der Podcast ist bereits gestartet, und nun gibt es dazu ein umfangreiches und stetig wachsendes Online-Dossier. Wer soll damit angesprochen werden, nach welchen Kriterien wurden Gesprächspartner und Testimonials ausgewählt?

Jung. Macht. Politik. - zum Dossier auf hr-iNFO

Das Dossier richtet sich an einen breiten Kreis von Usern, weil wir glauben, dass sich Menschen jeden Alters dafür interessieren, wer für Ihre Rechte auf die Straße geht, im Parlament diskutiert und dabei oft schon in jungen Jahren erheblichen Einfluss erlangt hat. Gleichzeitig war uns wichtig, auch genau die Generation anzusprechen, um die es in "Jung. Macht. Politik." geht, also Menschen unter 35. Sie sollen Vertreter ihrer Altersgruppe kennenlernen, die sich in- und außerhalb der Parlamente für eine bessere Gesellschaft engagieren. Dazu gehört eben auch die Vertretung "junger" Interessen. Wir wollten möglichst viele verschiedene Ideen, Gesichter und Konzepte zeigen – was letztlich von der Gesprächsbereitschaft Einzelner abhängt und mitunter auch scheitert. Es ging uns vor allem darum, Aktive mit besonders guten Ideen zu finden. Die Auswahl sollte nicht anhand der Zugehörigkeit zu einer Bewegung, Partei oder gar persönlichen Merkmalen erfolgen, und das ist den Autor*innen, wie ich finde, auch sehr gut gelungen.

Wie ist das Dossier gemacht, wie hängt es inhaltlich mit dem Podcast zusammen und warum sollten es sich die Nutzer*innen auf keinen Fall entgehen lassen?

Das Dossier hat mit dem Scrollytelling-Motiv "Goodbye, Boomer!" ein zentrales Element, das alle Recherchen verbindet. Dort werden einzelne Protagonisten portraitiert. Man kann sich quasi durch die (potenzielle) Zukunft unserer Politiklandschaft scrollen und lernt von Fridays for Future-Aktivistin bis jungem Abgeordneten im Parlament verschiedene Persönlichkeiten, Ideen und Herangehensweisen kennen. Alle Protagonist*innen stehen dabei aber auch für übergeordnete Recherchefragen, die in verschiedenen multimedialen Erzählformen im Dossier zu finden sind. Sarah Lee-Heinrich etwa ist nicht nur eine interessante Persönlichkeit, sondern steht gleichzeitig für die Frage, die hinter dem Spezial "Arena der Privilegierten" steckt: Darf das Einkommen meiner Familie oder meine Herkunft bestimmen, ob ich eine Chance habe, mich für die Gesellschaft zu engagieren, mich einzubringen, mich wählen zu lassen? Oder Hendrik Meier, Nachtbürgermeister in Mannheim, der auch in "Politik in Bar und Bus" auftaucht, wenn es um neue Beteiligungsformen und Angebote für junge Menschen in der Politik geht.

Wollten Sie mit der Überschrift "Goodbye, Boomer!" auch ein wenig zuspitzen und polarisieren?

Wie die Datenrecherchen der Studierenden etwa für den Bundestag belegen, sitzen dort – mal platt formuliert – zu viele alte, hoch gebildete und überwiegend männliche Abgeordnete ohne Migrationshintergrund. Das ist nicht mal annähernd ein Abbild der Gesellschaft. Die jungen Menschen, die wir vorstellen, wollen spürbar mehr politischen Einfluss nehmen. Deshalb trägt das Scrollytelling, in dem die Studierenden einige der Protgonist*innen portraitieren und mit ihren Ideen für eine bessere Gesellschaft zu Wort kommen lassen, auch diesen Titel. Einfach weil die Generation der „Boomer“ eben vom jetzigen Nachwuchs irgendwann abgelöst wird.

Wer hat bei dieser Kooperation zwischen dem öffentlich-rechtlichen Medienhaus hr und dem Fachbereich Journalismus der Universität was beigesteuert?

Chronologisch betrachtet: Die Idee für die Kooperation kam von mir, das Oberthema des Projektes und eine grobe Ideenskizze habe ich an die Redaktion hr-iNFO-Politik herangetragen. Die Redkation kennt mich, weil ich schon seit rund drei Jahren zweigleisig fahre - also sowohl am Journalistischen Seminar der Uni Mainz Master Journalismus-Studierende mit ausbilde, als auch eben als Datenjournalist für den HR tätig bin. In der ersten Rolle habe ich eine Multimedia-Lehrredaktion voller Nachwuchsjournalist*innen zu betreuen, mit der ich gerne große Abschlussprojekte mache. Dafür suchen wir immer Partner, bei denen wir publizieren können und die uns unterstützen. Das war mal ZEIT Online, das war auch schon hessenschau.de, und diesmal lag die Politik-Redaktion von hr-iNFO natürlich nahe. Schnell entstand die Idee, Synergien zu schaffen: Bei den von mir am Journalistischen Seminar betreuten Recherchen wurde ich von Sabine Kieslich und Tanjev Schultz, meinem Chef dort, unterstützt. Parallel dazu hat Sandra Müller in der iNFO-Redaktion das Podcast-Konzept entwickelt und produziert – unterstützt von der Volontärin Lisa Muckelberg, die zuvor am Journalistischen Seminar studiert hat. Rund um das Online-Dossier haben uns Christina Sianides, Klaudija Schnödewind und Kerstin Henninger massiv unterstützt. Vor allem aber wird das Projekt von den Recherchen und multimedial produzierten Geschichten der (Noch-)Student*innen getragen. Die - gerade in einem coronabedingt digitalen Semester - umzusetzen, ist, finde, ich, wirklich gelungen.

Sehen Sie eine solche Kooperation als journalistisches Zukunftsmodell?

Der Journalismus ist da wie die Politik: Es braucht immer neue Einflüsse, Perspektiven, Ideen, um bestmöglich informieren zu können. Es gibt in Deutschland neben den Volontariaten zum Glück auch einige gute Ausbildungs-Angebote für den Nachwuchs – auch wenn ich mir auch hier mehr Diversität und auch mehr Plätze an Universitäten und Journalistenschulen wünschen würde. Was für den journalistischen Nachwuchs am Wichtigsten ist, ist die Chance, das eigene Können zu beweisen und dabei auch Zeitdruck, Zwänge und gleichzeitig Möglichkeiten von echten Redaktionen kennenzulernen. Auf der individuellen Ebene macht man dafür Praktika, Hospitationen, arbeitet neben dem Studium in Redaktionen. Ein Projekt dieser Größenordnung erlebt man dort aber zumeist nicht. Es ist also eine echte Win-Win-Win-Situation, davon bin ich überzeugt: Der Journalismus wie der hr profitieren vom Nachwuchs, der Nachwuchs vom hr – und die User, Zuhörer, Zuschauer bekommen – hoffentlich – spannende und informative Inhalte angeboten.

Jung. Macht. Politik.

Die Autor*innen studieren am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Infos über das Projekt Jung. Macht. Politik. der Uni Mainz in Kooperation mit hr-iNFO gibt es hier. Fragen und Feedback? Gerne per Mail an jungmachtpolitik@hr.de!